Über „Täter“ und „Opfer“ in der Demokratie

Am 25. Februar 2017 fand im Senatssaal des Bayerischen Landtags eine Fachtagung zum Thema Über „Täter“ und „Opfer“ in der Demokratie statt. Die Tagung wurde als Kooperation des Gesellschaftswissenschaftlichen Instituts München für Zukunftsfragen (GIM), des Netzwerks Politische Bildung Bayern und der Akademie Führung & Kompetenz am C·A·P durchgeführt.

Rund 70 Teilnehmende diskutierten die gegenwärtige Spaltung der Gesellschaft sowie die Eskalation des politischen Streits in der Demokratie unter den Vorzeichen von Populismus auf der einen und Sprachunfähigkeit auf der anderen Seite.

In verschiedenen Vorträgen und Workshops wurde das Thema facettenreich und auch interaktiv analysiert und begreifbar gemacht. Es wurden Wege aufgezeigt, einerseits eigene Positionen zu schärfen und zu verdeutlichen, andererseits aber auch diskursfähig zu bleiben und andere – auch extreme – Positionen des politischen Streits um der Demokratie Willen bewusst zu integrieren. Dabei wurde auch immer wieder die eigene Selbstverständlichkeit der ‚richtigen Meinung‘ bei den Teilnehmenden selbst reflektiert und hinterfragt.

Dr. Christian Boeser-Schnebel (Netzwerk politische Bildung Bayern) beleuchtete die Problematik von Stammtischparolen und wies auf der Basis eines neuen Argumentationstrainings Wege auf, die aus der Falle des Kampfes von richtig und falsch zu einem niveauvolleren politischen Diskurs führen könnten. Anhand der aktuellen Flüchtlings- und Integrationsthematik zeigte er Eskalationsspiralen und deren Dynamiken auf und verdeutlichte Alternativdiskurse, die durchaus klare Positionierungen und demokratischen Streit enthalten, ohne aber in selbstgerechte Verabsolutierung zu verfallen.

Florian Wenzel (C·A·P) forderte die Teilnehmenden in einem Workshop auf, sich selbst zu pointierten Aussagen zu positionieren und zu erkennen, dass demokratie-inhärente Dilemmata immer zu eigenen Entscheidungen und gemeinsamer Gestaltung von Demokratie auffordern. In der direkten und respektvollen Begegnung der unterschiedlichen Positionen wurden Alternativen der Demokratie deutlich; anhand von Aussagen der Teilnehmenden wurde klar, dass ‚Mehr als eine Demokratie‘ – so auch der Titel eines Trainingsprogramms – existiert und Werte wie Freiheit und Gleichheit durchaus sehr unterschiedlich gewichtet und konkret realisiert werden können.

In einem zugespitzten Input verdeutlichte Dr. Peter Seyferth verschwörungstheoretisches Denken und verband dies mit einer medialen Betrachtung von Filmausschnitten; er zeigte auf, dass wir alle in eine Legitimation eigener Machtansprüche verwickelt sind und dies anerkennen müssen, um nicht anfällig für einfache Erklärungsmuster komplexer Gesellschaften zu werden.

Das Übertragen der Macht an einen Vertreter, der vermeintlich für das ganze Volk spräche, würde Macht mit vereinfachten Begründungen kombinieren und stellt eine große Gefahr für eine demokratische Haltung dar. Die Alternativen wie rationale Beteiligungsmodelle stehen allerdings vor der Herausforderung, Dynamiken von Emotionen zu vernachlässigen und sehr ‚langsam‘ zu sein.

In weiteren Workshops wurden diese Herausforderungen konkretisiert: Dr. habil. Karin Schnebel (GIM) analysierte Dilemmata in der Einwanderungsgesellschaft, die anzuerkennen eine Voraussetzung für demokratisches Denken sei; Ekaterina Zeiler von der TU München zeigte anhand des Beispiels des NSU auf, wie Machtungleichheit und Diskriminierung dazu beitragen können, dass Opfer zu Tätern werden. Christian Rehbein von der LMU München verdeutlichte, dass Machstrukturen innerhalb der Demokratie selbst zu institutionalisiertem Rassismus und damit der Schwächung der Demokratie beitragen können.

Die Tagung wurde mit einer von Dr. habil. Karin Schnebel moderierten Podiumsdiskussion abgerundet, die Wege aus der drohenden gesellschaftlichen Spaltung aufzeigte. Aus Sicht der Politik mahnte MdL Robert Brannekämper (CSU) an, jenseits der Alltagsroutine sich bewusst Zeit zu nehmen, um mit vermeintlich ganz anderen – auch gegnerischen – Positionen, ins Gespräch zu kommen und jenseits medialer Vermittlungen gemeinsame Schnittstellen auszumachen oder auch die Unterschiedlichkeit der Positionen zu schärfen, ohne sie von vornherein zu verurteilen. Dies, so Prof. Dr. Dr. h.c. Werner Weidenfeld vom C·A·P, sei einer der Bausteine bewusster Antizipation möglicher gesellschaftlicher Szenarien. Statt reflexartig auf Ereignisse zu reagieren, sei die bewusste Diskussion möglicher, auch unwahrscheinlicher Szenarien nötig, um sich in einer komplexen Gesellschaft auf die Zukunft vorzubereiten und handlungsfähig zu bleiben. Münchens Oberbürgermeister a.D. Christian Ude (SPD) wies darauf hin, dass in diesem Zusammenhang von Politikern deutliche, durchaus auch kantige Erklärungen gesellschaftlicher Zusammenhänge nötig seien, die aber, und das sei das Entscheidende, nicht in einen ‚wir gegen die‘ Diskurs verfalle; nötig sei, auf allen Seiten den Menschen immer wieder auch die Schwierigkeiten und Herausforderungen von Demokratie zu verdeutlichen und sie mitzunehmen in der gemeinsamen Verantwortung für gesellschaftliche Gestaltung.

Als Fazit der Tagung stand die Erkenntnis, dass eine fragende Haltung und damit auch das Hinterfragen eigener Selbstverständlichkeiten Potentiale seien, die demokratischen Diskurs neu beleben können. Statt des Wunsches nach schnellen Lösungen ist der Prozess der Demokratie als gemeinsame Gestaltungsaufgabe zu stärken.

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