Tag der offenen Moscheen
Vielfalt (er)leben am Tag der offenen Moscheen in München
„Menschen machen Heimat“
Am 3. Oktober 2019
DITIB Mehmet Akif Moschee, Moosacher Str. 22, 80809 München
Podiumsgäste
- Georgios Siomos (Archimandrit, Griechisch-orthodoxe Metropolie)
- Steven Langnas (jüdischer Rabbiner)
- Rainer Maria Schießler (katholischer Pfarrer)
- Aykan Inan (Politikwissenschaftler, Dialogbeauftragter der DITIB Jugend Bayern)
- Dr. Rainer Oechslen (Islambeauftragter der Evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern
Moderation: PD Dr. habil. Karin B. Schnebel (Politikwissenschaftlerin)
Vielfalt (er)leben: Religionsvertreter unterschiedlicher Religionen und Konfessionen diskutieren über die Zukunft der Religionen
Mit Vertretern verschiedener Konfessionen und Religionen soll diskutiert werden, welche Rolle die Religionen heute haben. Wie werden sich die Religionen in Deutschland entwickeln? Derzeit verändert sich die Bindung der Menschen an Glaubensgemeinschaften. Wie sieht dies in den einzelnen religiösen Gemeinschaften aus? Wird unser demokratisches System einer zunehmend religionspluralistischen Gesellschaft standhalten? Wo gibt es Überschneidungen wo liegen die Unterschiede? Wo sind die Grenzen der Religionsfreiheit? Wie erklärt sich die Gleichzeitigkeit von Modernisierung und religiöser Vitalisierung? Wie kann sich diese Vielfalt im Religionsunterricht in den Schulen wiederspiegeln? Gibt es Möglichkeiten die verschiedenen Glaubensgruppen in die Religionspolitik des Staates zu integrieren? Wie können die Religionen dazu beitragen, dass wir uns alle mit unserer gemeinsamen Heimat identifizieren?
Respekt vor Religionen als Notwendigkeit für unser Land!
Neugierige Besucher werden freundlich hereingebeten, vor dem Eingang steht ein verlockendes Buffet, manche haben ein Glas Tee in der Hand. Die öffentliche Podiumsdiskussion im Gemeindesaal der Ditib Mehmet Akif Moschee in München-Milbertshofen ist gut besucht. Vier Vertreter der großen Religionen sind hierhergekommen, um über die Zukunft der Religionen und das Thema „Vielfalt erleben am Tag der offenen Moscheen. Menschen machen Heimat“ zu reden.
Es ist die erste Veranstaltung des neuen verlängerten Wertebündnisprojekts „Selbstbestimmung und Integration im Dialog mit Konfessionen und Religionen“, welche die Politikwissenschaftlerin, Privatdozentin Dr. Karin Schnebel, initiiert hat. In den nächsten zwei Jahren werden „eine Vielzahl weiterer Veranstaltungen“ folgen, bei denen sich Menschen quer durch alle Altersgruppen und Religionen austauschen können (siehe Kasten). Ziel des Projekts: Den Dialog zwischen den Religionen und Konfessionen zu fördern, Vorurteile abzubauen und den Zusammenhalt in der Gesellschaft und die Demokratie zu stärken.
„Alle Religionen haben soziale Komponenten, finden die Gemeinschaft wichtig, wollen die Welt gerechter machen“, sagt die wissenschaftliche Leiterin des Gesellschaftswissenschaftlichen Instituts München (GIM). „Da gibt es Gemeinsamkeiten, auf die man aufbauen sollte.“ Denn die Spaltungen in der Gesellschaft werden immer vielfältiger, wie Schnebel auch bei der Podiumsdiskussion aufzeigt. Ihr gehe es darum, Spaltungen abzubauen. Das war auch das Ziel des bereits abgeschlossenen Projekts „Integration und Demokratie“. Schnebel: „Viele Workshop-Leiter aus dem Vorgängerprojekt machen nun wieder mit und bilden ihrerseits neue Multiplikatoren zu Workshop-Leitern aus.“
Zwischen Dialog und Kontroverse
Zum Auftakt der Podiumsdiskussion liest Moderatorin Schnebel einen Beitrag des katholischen Münchner Pfarrers Rainer Maria Schießler vor, der wegen einer Krankheit nicht kommen kann: „Wenn Heimat der Lebensort für alle Menschen und die Schöpfung sein soll, muss dieser also auch so gestaltet werden. Viele Kräfte wirken daran mit, auch und gerade die Religionen. Sie müssen sich dazu ständig ihrer Verantwortung bewusst werden, dass sie alleinig menschengemacht sind,“ schreibt Schießler.
„Warum wollen die Menschen, dass sich der Staat aus der Religion heraushält? Ist es nicht besser zu sehen, was in der Gesellschaft passiert?“, fragt Schnebel in die Runde. „Die Gesellschaft wird insgesamt immer säkularer“, sagt Politikwissenschaftler Aykan Inan, der auch Dialogbeauftragter der Ditib-Jugend Bayern und Partner der Stiftung Wertebündnis ist. „Wir wollen eine anerkannte Religionsgemeinschaft werden und ein Mitspracherecht bekommen“, so Inan.
„Die Religionen und die religiöse Pluralität sind keine Gefahren für die Demokratie, wenn man einen respektvollen Umgang miteinander pflegt, sondern sie bereichern unser Leben“, betont der Archimandrit der griechisch-orthodoxen Metropolie, Georgios Siomos.
Auch kontrovers diskutierte und umstrittene Themen spricht Schnebel an: vom Schächten der Tiere im Islam und Judentum, über strenge Fastenvorschriften für Kinder bei den Orthodoxen, Verschleierung und Kopftuch, bis hin zum Zölibat und der Gleichberechtigung der Frauen. Wichtiges Thema bei der Podiumsdiskussion: der konfessionelle Religionsunterricht in den Schulen. „Es wäre jetzt an der Zeit, das Recht auf verfassungsmäßigen Religionsunterricht auch auf Muslime auszudehnen“, fordert Dr.Rainer Oechslen, Islambeauftragter der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern. „Der heutige konfessionelle Religionsunterricht ist nicht mehr zeitgemäß, es sollte meiner Meinung nach einen Religionsunterricht für alle, aber auch für Atheisten geben. “
Wunsch nach Religionsunterricht
Archimandrit Siomos, möchte einen „konfessionsgebundenen Religionsunterricht in Deutschland beibehalten, weil er den jungen Menschen Werte und Struktur vermittelt, auch wenn das beim orthodoxen Unterricht noch nicht flächendeckend passiert.“ Auch Inan betont: „Wir brauchen einen konfessionellen Religionsunterricht in den Schulen, dadurch steigt das Selbstwertgefühl der Schüler, und der Dialog wird gefördert.“ Nach Ansicht von Schnebel „wird es zu wenig kommuniziert, dass die Konfessionen einen Religionsunterricht wollen.“ Keinen Islamunterricht in den Schulen anzubieten sei grundfalsch. Denn im Gegensatz zu den Koranschulen gebe es in den Schulen einen einsehbaren Lehrplan.
Bei der Frage nach Unterschieden und Gemeinsamkeiten der Religionen betont der jüdische Rabbiner Steven Langnas: „Es gibt zwischen den Religionen sehr viele Gemeinsamkeiten, es liegt an uns, sie besser kennenzulernen. Man muss mehr miteinander reden.“ Der Rabbiner wendet ein, dass er sich große Sorgen über den Anstieg von Antisemitismus in Deutschland, und auch hier in München mache: „Ich hoffe, dass keine Religionsgemeinschaft angegriffen wird.“ Und Oechslen fügt hinzu: „Auch die antiislamische Propaganda ist schlimm und es wird nur besser, wenn wir Freunde aus anderen Religionen haben. Sonst bleibt nur das im Kopf. Habt Freunde in anderen Religionen.“ Bei der anschließenden Diskussion stößt eine Besucherin mit ihrem Wunsch auf allgemeine Zustimmung: „Ich finde es schön, dass wir uns hier treffen, auch wenn es im Keller ist. Man sollte öfter in der Öffentlichkeit über die Gemeinsamkeiten der Religionen und über Werte reden.“
Gerade in Anbetracht dessen, was in Halle passiert ist, scheint ein gesellschaftlicher Dialog über Religionen von noch größerer Dringlichkeit.
Neben zahlreichen Workshops und der Multiplikatorenausbildung ist folgendes in München geplant: weitere Podien im Restaurant „Stiftl“, der orthodoxen Heilig Geist-Kirche, dem evangelischen Zentrum im Westend, im Restaurant „Schlachthof“, ein Konzert der Religionen im Künstlerhaus am 1. Februar 2020, eine weitre Podiumsdiskussion mit Religionsvertretern und Humanisten am 23. April 2020 im Café Luitpold. Am 30.April 2020 findet ein großer Kongress in der Hanns Seidel Stiftung statt. Ein zweiter Kongress ist für den April 2021 geplant. Außerdem wird ein Sammelband mit Beiträgen der Teilnehmer sowie verschiedener Geistlicher geplant. Ein Religionsbuch für Kinder im Grundschulalter von Karin Schnebel im AIPSO-Verlag ist bereits im Erscheinen.
Das ist der Wert für die Zukunft, um den es bei diesem Projekt geht: Die Stärkung der Demokratie und Zusammenhalt in der Gesellschaft durch das persönliche Gespräch und den Austausch zwischen den Religionen.